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„Was hätte Ihre Mutter gewollt?“

  • 26. Januar 2023

Palliative Begleitung aus der Sicht einer Angehörigen – ein Gesprächsprotokoll

Susanne Müllers (57/Name von der Redaktion geändert) Mutter verstarb im vergangenen Jahr im Mediana Pflegestift im Alter von 79 Jahren. Mehrere Monate wurde sie dort palliativ betreut. Sie war immer umgeben von ihren nächsten Angehörigen, die zu jeder Zeit zu ihr konnten, und Betreuungskräften. „Den Palliativweg für meine Mutter zu wählen, war die richtige Entscheidung und dennoch brauchte es viel Mut und Kraft“, sagt die 57-Jährige.

Rückblick: „Meine Mutter war eine Frau, die sehr am Leben hing“, beschreibt Susanne Müller. Sie wohnte alleine, war selbstbestimmt und brauchte keine Unterstützung im Alltag. Mit 78 Jahren erlitt sie eine schwere Hirnblutung. Sie wurde ins Klinikum Fulda gebracht und dort auf der Schlaganfallstation versorgt. „An einer Hirnblutung stirbt man nicht“, sagt die Tochter. Eine schriftliche Patientenverfügung ihrer Mutter lag nicht vor, nur ihre deutlichen Äußerungen einige Wochen zuvor zu einem Fall im Freundeskreis.  Die Krux: „Wir wollten uns daraufhin darum kümmern, aber zuerst bei Expert:innen informieren, welche Tragweite bestimmte Regelungen in der Verfügung haben würden.“ 

In einem ausführlichen Gespräch schilderte ihr der Arzt im Klinikum Fulda die Möglichkeiten – Reha, ihre Mutter nach Hause, in ein Pflegeheim oder auf eine Palliativstation entlassen. Und er stellte die alles entscheidende Frage: „Was hätte ihre Mutter gewollt?“ Nach einer knappen Woche wurde Susanne Müller von den Ärzt:innen gefragt, wie es weitergehen soll. Zu diesem Zeitpunkt nahm ihre Mutter immer noch kein Essen und keine Flüssigkeit auf, also wäre das Setzen einer Magensonde Grundvoraussetzung für eine Reha. Susanne Müller erbat sich noch einige Tage Zeit und rief den Familienrat, nahestehende Personen und einen Seelsorger zusammen, um zu ergründen, wie sich ihre Mutter entschieden hätte. Enge Vertraute bestätigten ihren Impuls, dass ihre Mutter keine lebensverlängernden Maßnahmen gewollt hätte. Sie wollte unter keinen Umständen abhängig von Maschinen sein oder jemandem zur Last fallen.

„Ihre Mutter ist nicht rehafähig“ – mit dieser Einschätzung konfrontierte der Arzt Susanne Müller. „Damit war für mich die palliative Versorgung der einzig richtige Weg“, erzählt sie und fügt an: „Denn Palliativversorgung ist keine Einbahnstraße – für mich war es die einzige Möglichkeit, meine Mutter selbst entscheiden zu lassen. Möchte sie leben oder möchte sie vom Leben Abschied nehmen, aber dann bestmöglich versorgt und ummantelt.“ Ihr Sohn stand ihr zur Seite. Andere Familienmitglieder entzogen ihr die Unterstützung, äußerten Unverständnis, machten ihr Vorwürfe. 

Ihre Mutter wurde auf die Palliativstation des Klinikums Fulda verlegt. „Das war eine sehr schöne Atmosphäre, wir durften jederzeit zu ihr und sie wurde mit sehr großer Fürsorge behandelt.“ Peu à peu ging es ihr besser. So gut, dass sie zur Reha konnte. Ein pandemiebedingter Lockdown ließ dort keinen Besuch von ihrer Tochter oder anderen Angehörigen zu. Allein Telefonate mit dem Arzt gaben Susanne Müller Einblick in die Verfassung ihrer Mutter. Der Arzt berichtete, dass es ihr besser ginge. Und während ihres einzigen Besuchs bei ihrer Mutter saß diese bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen am Tisch. Das gab der Tochter Hoffnung. 

So kam ihre Mutter nach der Reha ins Mediana Pflegestift – wo sich ihr gesundheitlicher Zustand mal verbesserte, mal verschlechterte. Als sie einen Krampfanfall hatte, wurde der Pfarrer gerufen. Am nächsten Tag saß sie wieder lachend im Bett. „Ihre Medikamente hat sie verweigert, weggeschüttet, den Mund zugekniffen – das war der Zeitpunkt, an dem wir mit dem Team und der Palliative Care besprochen haben, dass sie nur noch im Bedarfsfall Medikamente zur Schmerzlinderung erhält“, sagt Susanne Müller. Ein Wendepunkt: Ihre Mutter aß wieder deutlich mehr, sie blühte förmlich auf. Für die 57-Jährige war das das Signal, dass das Absetzen der Medikamente genau richtig war. „Das hat mir gezeigt, dass sie den ganzen Zwang nicht wollte und dass es ihr gutgetan hat, noch ein bisschen selbstbestimmt zu sein und wir ihr diese Selbstbestimmtheit schenken konnten.“

Auf diese Weise konnte ihre Mutter noch schöne Monate verleben. Susanne Müller war täglich, oft gemeinsam mit ihrem Sohn, bei ihr. Von den Pflegekräften im Mediana Pflegestift fühlte sie sich verstanden und unterstützt. „Für die Mitarbeiter:innen bedeutete die palliative Versorgung immer auch einen zeitlichen Spagat. Aber sie gaben mir Rückhalt, das war für mich das Wichtigste.“ Kurz vor ihrem Tod zog sich ihre Mutter zurück, nahm kein Essen und Trinken mehr zu sich, dann schlief sie friedlich ein. 

Heute: Das Ja zum Palliativweg ohne Patientenverfügung ist Susanne Müller nicht leichtgefallen. Jede Krisensituation musste neu bewertet werden. Einen geliebten Menschen aus dem Leben gehen zu sehen, ist sehr schmerzhaft. „Aber an jemandem festzuhalten, obwohl er gehen möchte, ist egoistisch.“ Für ihren eigenen letzten Weg will sie eine Patientenverfügung schriftlich verfassen, damit niemand im Unklaren ist – kein Arzt, nicht ihr Sohn. Vor dem Hintergrund des eigenen Erlebens ist sie sicher: „Die Arbeit der Menschen, die einen Sterbenden betreuen, kann nicht hoch genug geschätzt werden und braucht mehr Beachtung, mehr Raum, mehr Zeit. Die palliative Begleitung kann dem Sterbenden die Ruhe geben, sein Leben Revue passieren zu lassen oder vielleicht noch ein letztes Mal die Schönheit eines Moments zu erleben.“

Frühzeitig an den Ernstfall denken

Vollmachten machen den eigenen Willen bindend für alle

Welche medizinische Behandlung möchte ich? Und welche möchte ich nicht und unter welchen Bedingungen möchte ich sie nicht? 

Bei einem Unfall, einer unvorhersehbaren Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands oder am Ende des Lebens stellen sich diese Fragen. Nicht jederzeit bin ich noch selbst in der Lage, dazu mündlich Auskunft zu geben. Eine schriftliche Patientenverfügung im Vorhinein einer solchen Situation sorgt dafür, dass der eigene Wille maßgeblich bleibt. 

Hierin kann alles niedergeschrieben werden, was einem selbst wichtig ist. Sie erstreckt sich über Fragen der gewünschten medizinischen Behandlung, eventueller Krankenhauseinweisungen, aber ebenso über Fragen zur Begleitung im Sterben. Sie muss schriftlich verfasst werden, solange man geschäftsfähig ist. Wichtig dabei ist, dass die Verfügung den eigenen Willen möglichst konkret und eindeutig festlegen muss. Es ist daher ratsam, sich Rat und Hilfe bei Expert:innen wie Hausarzt, Palliativmediziner oder Juristen zu holen. Denn sollten sich Äußerungen widersprechen, auch wenn dies unabsichtlich geschieht, ist die Verfügung ungültig und der mutmaßliche Wille wird ermittelt. Eine Patientenverfügung ist auch für Betreuer:innen, die man selbst im Rahmen einer Vorsorgevollmacht bestimmt hat oder die vom Gericht eingesetzt wurden, bindend. Sie oder er hat Sorge dafür zu tragen, dass der dort niedergeschriebene Wille respektiert wird.  Die getroffenen Aussagen sollten in regelmäßigen Abständen geprüft werden, ob sie noch gelten sollen.

Neben der Patientenverfügung ist es sinnvoll, eine Vorsorgevollmacht zu haben. Darin benennt man eine Vertrauensperson zum Bevollmächtigten mit Entscheidungsbefugnis etwa zu Angelegenheiten der Gesundheit und des Aufenthalts. Ihre Befugnisse können sehr weit oder enger gefasst werden. Seit 1. Januar gilt das Notbetreuungsrecht unter Ehegatten und Lebenspartner:innen, längstens für die Dauer von 6 Monaten. 

Eine Betreuungsverfügung richtet sich an das Betreuungsgericht. Darin bittet der Verfasser das Gericht, die erwählte Vertrauensperson auch als Betreuer:in einzusetzen. Die Vollmachten können, müssen aber nicht, kostenpflichtig beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registriert werden.

Erste Hilfestellungen gibt es im Internet unter anderem unter:

https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Patientenverfuegung.pdf

https://www.verbraucherzentrale.de/patientenverfuegung-online

https://palliativstiftung.de/de/shop/gedrucktes/vorsorgemappe

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